Schach & Taktik: Schachfiguren abtauschen
Teilen
Das Abtauschen von Schachfiguren kann dir je nach Spielsituation Vorteile oder Nachteile verschaffen. Manchmal ist ein scheinbar offensichtlicher Schlag gegen eine Schachfigur nicht das, wofür er sich ausgibt. Ein andermal offenbart ein Fehlzug des Gegenspielers eine große Gelegenheit, das Spiel vorzeigt zu gewinnen. Welche Spielsituation auch eintreten mag, das Ergreifen der Offensive erfordert eine genaue Einschätzung der Chancen und Risiken, sowie ein gutes strategisches und taktisches Verständnis. Doch nach welchen Kriterien lassen sich diese Situationen beurteilen? Nicht jeder Spieler ist ein Schachgroßmeister, der eine Vielzahl von Zügen vorausberechnen, oder ein Vereinsspieler, der auf mehrere Jahre Erfahrung im Wettbewerbsumfeld zurückblicken kann. Schauen wir einmal auf diese Schachaufstellung.
Dieses Beispiel zeigt eine Spielsituation, in der ein schwarzer Springer eine Bedrohung gegen den weißen Turm aufgestellt hat. Die Frage ist nun, wie reagiert Weiß? Angriff mit dem eigenen Springer? Angriff mit dem Läufer? Oder die Flucht des Turms? Die Auflösung für dieses Schachrätsel gibt es am Ende des Artikels.
Aber um dir eine kleine Hilfestellung zu bieten, gebe ich dir nachfolgend ein paar Faustregeln an die Hand, die dir die Entscheidungsfindung ein wenig vereinfachen und hoffentlich einen neuen Blick auf deine taktischen Optionen ermöglicht.
Grundsätzlich gibt es fünf Ansätze, nach denen du Einschätzungen tätigen und eine Entscheidung zum Figurentausch treffen kannst.
Methode 1: Beurteile den Materialwert deiner Schachfiguren
Bei dem Materialwert handelt es sich um ein auf ein Punktesystem basierendes Wertemodell, das auf einfache Weise sowohl Einzelwerte von Schachfiguren als auch den Gesamtwert aller Schachfiguren eines Spielers erfasst. Und zwar verfügen alle Schachfiguren über eine Wertigkeit, die sich am Gegenwert eines Bauern orientiert. Hier eine Übersicht:
- Bauer: 1
- Springer: 3
- Läufer: 3
- Turm: 5
- Dame: 9
- König: ∞
Mit acht Bauern, zwei Springern, zwei Läufern, zwei Türmen und einer Dame verfügt ein Spieler insgesamt über einen Materialwert von 39 Punkten auf seiner Seite des Spielbrettes. Der König wird nicht mitgezählt, da er nicht abgetauscht werden kann. Aus den obigen Werten lässt sich einfach ablesen, dass du Material gewinnst, wenn du mit geringwertigeren Figuren die höherwertigeren schlägst. Zwar musst du immer noch das taktische Motiv deines Gegners berücksichtigen. Aber die meisten Fehltritte im Schach erfolgen über Fehlzüge, die einen Abtausch von Schachfiguren mit ungleichem Wert zur Folge haben. Schaue also, wie hoch ist der Materialwert deiner abtauschenden Figuren und wie hoch ist der Materialwert der gegnerischen Figuren. Beachte aber, ob du nicht dabei bist, in eine Falle zu tappen und dein scheinbarer Materialgewinn zu einer für dich nachteiligen Figurenstellung führt. Das Schlagen nach Materialwert ist die simpelste Methode, um das Angriffspotenzial einzuschätzen. Die Wertigkeiten der Figuren solltest du natürlich auch unabhängig von der Absicht Figuren abzutauschen auswendig kennen.
Methode 2: Durchrechnen der Schlagfolge
Eine offensichtliche, wenngleich auch fehleranfällige Methode ist das Durchrechnen der direkten Folgen des Figurentauschs, sollten mehrere Figuren auf einem Feld nacheinander geschlagen werden. Gehe nacheinander alle Figuren durch, die am Abtausch beteiligt sind und achte darauf, dass du nicht eine mehr abtauschst als dein Gegenspieler. Sorge dafür, dass deine Stellung nicht geschwächt wird und der Gegner seine Taktik an deinen Angriff anpassen muss. Tausche nicht nur aus reiner Lust am Schlagen, sondern mit der konkreten Absicht, auch in den nächsten Schachzügen die Initiative zu halten. Hierzu überlege dir stets einen Folgeangriff – bestenfalls auf einen schwachen Bauern oder zumindest auf ein schwaches Feld in der gegnerischen Hälfte. Schachpuzzle sind eine gute Möglichkeit, das Durchrechnen zu trainieren, aber eigne dir auch ein taktisches Verständnis an, um Muster im Schachspiel zu deuten. Denn bei Schachrätseln gibt es ein großes Problem: Während des Rätsels weißt du, dass es einen besonderen Zug gibt, den du aufdecken musst. In einem richtigen Spiel sagt dir jedoch niemand, wann ein solch außergewöhnlicher Schachzug möglich ist. Also spiele so viele Spiele wie möglich und analysiere diese im Nachgang. Plattformen wie www.lichess.org bieten dir alle nötigen Tools, um Erkenntnisse aus deinen bisherigen Schachpartien zu gewinnen. Zudem hat Lichess eine große Datenbank an sogenannten Studien. In diesen erklären andere Spieler spezifische Spielsituationen oder auch Schacheröffnungen und zeigen dir auf, was du beachten musst. Werfe da ruhig einmal einen Blick rein, es lohnt sich.
Methode 3: Beurteile die Aktivität der Schachfiguren
Aktive Schachfiguren sind mehr wert als passive Schachfiguren. Natürlich hat ein Turm einen höheren Wert als ein Springer. Doch wenn du deinen Springer aus einem stark umkämpften Zentrum abziehst, nur um einen Turm abseits des Geschehens zu schlagen, so kann dies einem Materialopfer gleichkommen. Der Turm hätte wohlmöglich nie ins Spiel gefunden, während dein Springer jedoch aktiv Druck auf die Gegenseite ausgeübte. Andererseits kann es durchaus von Vorteil sein, frühzeitig einen gegnerischen Läufer zu schlagen, der auf der gleichen Farbe wie dein rochierter König steht.
In diesem Beispiel ist der weiße Springer auf a4 inaktiv, da er auf kein sicheres Feld springen kann. Dem Materialwert nach ist Schwarz unterlegen, da aber der weiße Springer seinen Wert nicht einbringen kann und Schwarz seine Figuren aktiv positioniert hat, steht Schwarz hier auf Sieg.
Schätze den taktischen Wert der ziehenden Schachfiguren ein. Der Gegenspieler hat einen aktiven Springer, der zentriert steht, gut gedeckt ist und schwache Felder ins Visier nimmt? Du hast einen Läufer der teilweise blockiert auf der Grundreihe steht, aber den Springer schlagen kann? Wenn dein Läufer taktisch nicht anderweitig eingeplant ist, so kann dieser Angriff deinen Gegner hart treffen und dir neue Optionen eröffnen. Ein weiteres Beispiel könnte sein, dass du eine bestimmte Feldfarbe gut mit deiner Bauernstruktur abdeckst und verteidigst. In diesem Fall würde der Wert des gleichfarbigen Läufers der Gegenseite stark fallen und du könntest dich auf das Schlagen anderer Schachfiguren konzentrieren. Achte in dem Fall jedoch darauf, dass dein eigener Läufer nicht selbst durch deine Bauernstruktur blockiert wird.
Methode 4: Beurteile den Raum auf dem Schachbrett
Wenn du in Bedrängnis bist und dein Gegenspieler auf dem Schachbrett einen größeren Raum für seine Angriffe nutzen kann, so wiegen seine Verluste an Schachfiguren schwerer als deine. Das liegt daran, dass sich deine Figuren in der Regel auf engerem Raum gegenseitig behindern und ihr volles Potenzial nicht entfalten können. Der situationsbedingte Materialwert deiner Schachfiguren ist geringer, während der Materialwert deines Gegners aufgrund besserer Angriffsoptionen höher ausfällt. Man könnte auch sagen, du hast weniger zu verlieren. Tausche daher deine Schachfiguren ab, wenn du Raum gewinnen musst und deine defensive Haltung in einen offensiven Spielstil überführen möchtest. Achte dennoch darauf, nicht einfach pauschal anzugreifen und rechne durch, ob das Schlagen einer Schachfigur auch wirklich die gegnerische Taktik ins Wanken bringt. Beachte zudem, dass Läufer aufgrund Ihrer hohen Reichweite mit dem Freiwerden des Spielfeldes weniger geblockt und somit stärker werden, während Springer ihren Vorteil des Überspringens aus gleichem Grund immer mehr verlieren. Je nach Situation kann es also durchaus sinnvoll sein, seine Springer mit zunehmender Spiellänge bei Gelegenheit gegen gegnerische Läufer zu tauschen. Auch gewinnen Bauern an Bedeutung. Sind diese in der ersten Spielhälfte noch eher Kanonenfutter, so können sie im Endspiel schnell in der Überzahl sein und sich am Ende des Spielbrettes zu Damen entwickeln. Achte also früh auf deine Bauernstruktur, sollte sich ein zäher Kampf abzeichnen.
Methode 5: Beurteile die direkten Konsequenzen für dich und deinen Gegner
Es gibt Spielsituationen in denen das Schlagen von Figuren grundsätzlich erfolgen sollte. Das ist zum einen die direkte Mattdrohung und zum anderen ein Materialvorsprung.
Die direkte Mattdrohung
Droht dein Gegner deinen König im nächsten Zug matt zu setzen und du kannst dies durch einen Angriff vermeiden, so ist das Schlagen unausweichlich – auch wenn du dadurch in eine schlechtere Stellung gerätst.
Im Beispiel droht die schwarze Dame Matt mit Zug auf g2. Weiß ist zum Schlagen mit seiner Dame gezwungen, die sodann durch den gegnerischen Springer von f7 aus dem Spiel genommen wird. Schwarz erlangt eine noch aktivere Stellung zu seinem eh schon bestehenden Materialvorsprung.
Auch wenn eine solche Spielsituation in vielen Fällen so oder so den Verlust des Spiels zur Folge haben könnte, so solltest du nicht gleich aufgeben. Ein schlauer Schachzug kann auch immer noch aus einer schlechteren Stellung heraus erfolgen.
Der Materialvorsprung
Hast du mehr Material (in Summe oder im Vergleich höherwertigere Figuren) als dein Gegenspieler, dann empfiehlt sich, wann immer möglich das Schlagen mindestens gleichwertiger Figuren. Dies führt dazu, dass die taktischen Möglichkeiten deines Gegners stärker beeinträchtigt werden als deine eigenen, da dieser infolge dessen weniger Wechselspiel mit seinen Figuren betreiben kann. Zwar hast du auch selbst weniger Möglichkeiten, da auch du eine Figur verlierst, jedoch senkt sich der Nutzen nicht linear ab. Für den Spieler mit weniger Material wiegt ein weiterer Verlust immer schwerer, da das Ungleichgewicht im Materialwert ihm zunehmend das Ausgleichen erschwert.
Ich hoffe, dass ich dir die fünf Konzepte gut und verständlich näherbringen konnte und du einen Vorteil für deinen Spielstil gewonnen hast. Die hier genannten Erklärungen beziehen sich vorrangig auf das offensive Abtauschen von Figuren. Es wird aber auch Situationen wie in dem anfänglichen Beispiel geben, in denen der Gegner dich angreift und der Abtausch in deiner Defensive erfolgt. Achte hier immer darauf deine Figuren zu schützen bzw. vermeide, dass diese hängen. Somit gerätst du nicht unter Druck und kannst leichter selbst die Initiative ergreifen. Nachfolgend nun die Auflösung des Beispiels:
Wir schlagen mit unserem Läufer auf d4, worauf dieser vom schwarzen c5-Bauern geschlagen wird. Warum? Unser Läufer war, im Gegensatz zu unserem Springer, inaktiv und von eigenen Figuren blockiert, während der gegnerische Springer aktiv eine Drohung aufgestellt hatte. Zudem schließt der schwarze Bauer am Ende der Schlagfolge die Linie des d8-Turms, was das Angriffspotenzial dieser Schwerfigur beeinträchtigt. Nun haben wir beispielsweise die Möglichkeit, unseren Springer auf a5 zu ziehen, um den Läufer auf b7 unter Druck zu setzen und vielleicht einen Flankenangriff auf der b-Linie mit unseren beiden Türmen zu initiieren.
Noch nicht genug von Schachstrategien und Schachtaktiken? Schau dir auch ruhig einmal die Situationen einer Fesselung, einer Gabel und eines Spießes an, die auf meiner Seite weiter unten im Regelwerk erklärt sind. Diese helfen dir dabei, für dich günstige Situationen für einen Abtausch zu erzeugen bzw. dich gegen geschickte Angriffe deines Gegenspielers zu verteidigen. Befasse dich auch intensiv mit Spieleröffnungen. Diese entscheiden schon früh den eigentlichen Verlauf des Spiels und geben dir auch vor, welche frühen Züge sinnvoll sind und vor allem welche du unterlassen solltest, um nicht in Bedrängnis zu geraten. Zudem bieten dir Schacheröffnungen ebenfalls den Vorteil, den Materialwert der Schachfiguren bezogen auf die spezifische Spielsituation besser beurteilen und folglich bessere Entscheidungen treffen zu können.
Solltest du noch weitere Fragen haben, so schreibe mir gerne über mein Kontaktformular.
Neben meinem Schachblog biete zudem eine breite Auswahl an Staunton-Schachfiguren und Schachsets an.
Ich wünsche dir viel Spaß am Spiel, viel Erfolg und zügige Fortschritte beim Lernen.
Bis bald.
Stefan